Selbst in Straubing hält man inzwischen nach einem Wirt Ausschau.

Paulaner ist verzweifelt. In den letzten 70 Jahren dürfte es noch nicht passiert sein, dass eine Münchner Brauerei tatsächlich aktiv nach einem Wirt für eines ihrer Großzelte suchen muss. Paulaner jedoch hat das undenkbare möglich gemacht und immer noch niemanden gefunden, der den Aufstieg in den Wirteolymp durch die Übernahme der Bräurosl annehmen würde.

Die Bräurosl ist eines von gleich drei Brauereizelten der Paulanergruppe: Das seit 1895 existierende Winzerer Fähndl wird als Brauereizelt von Paulaner selbst geführt. Hinzu kommen seit deren Übernahme 1985 zusätzlich die beiden Zelte des Hacker-Pschorr-Bräus hinzu. Dieser wiederum verfügt über zwei Zelte, weil die von unterschiedlichen Linien der Familie Pschorr geführten Brauereien Hacker und Pschorr 1972 wieder zusammengeführt wurden. Deshalb wird das Hacker-Festzelt bis heute dem ersten Teil des Doppelnamens zugesprochen, während die Bräurosl weiterhin an den Pschorrbräu erinnert.

Die Wirte der insgesamt sieben Brauereizelte bewerben sich nicht direkt bei der Landeshauptstadt München um ihre Wiesnkonzession, sondern werden dieser von der Brauerei vorgeschlagen. Im seltenen Fall, dass eine Brauerei eine neue Wirtsfamilie benötigt, steht die Münchner Wirteprominenz in der Regel Schlange und die Brauerei kann das Zepter an einen Wirt übergeben, der sich bereits in einer Großgastronomie der Brauerei bewährt hat.

Dies wäre nun eigentlich auch nach dem überraschenden Rückzug der Familie Heide von der Bräurosl zu erwarten gewesen. Dass sich Paulaner bemühen muss, um sein Wiesnzelt vergeben zu können, liegt an einem Problem, das weder mit der Wiesn noch der pandemiebedingten Gastronomiekrise unmittelbar zu tun hat: Die Brauerei findet keinen Wirt für den zwar alten, aber kaum noch ehrwürdigen Donisl, in der Premiumlage direkt gegenüber des Rathauses.

Der bisherige Wirt Karlheinz Reindl war trotz (oder vielleicht auch wegen) hoher Preise nicht in der Lage, die Wirtschaft profitabel zu betreiben. Wäre Paulaner tatsächlich daran interessiert, den Donisl zu einer Wirtschaft mit hohem münchnerischem Stammgastanteil zu formen, hätte sie das zumindest im Bezug auf die Preise selber in der Hand. Wenn die hohe Pacht dem Wirt aber keine Luft zum Atmen lässt, kostet eine Halbe eben über fünf Euro - und ist noch nicht einmal dann kostendeckend. Fünf Jahre lang nahm Reindl, mit einigem Eigenkapital ausgetattet, diesen Missstand dennoch hin – vermutlich wegen der Aussicht auf ein Wiesnzelt, um das er sich bereits seit Jahren bemühte. Für die Bräurosl hat ihn die Brauerei aber offenbar wieder übergangen und so zog er endlich die Reißleine und kündigte den Pachtvertrag.

Daran, dass der Donisl nicht funktionieren will, ist die Brauerei als Verpächter jedoch selber schuld. München ist glücklicherweise nicht reich an Touristenfallen. Wenn man jedoch unbedingt welche suchen möchte, käme man wohl zuerst auf das Café Wildmoser am Marienplatz, den Spöckmeier und eben den Donisl. Dass alle drei Paulaner gehören muss kein Zufall sein. Dass der Donisl in Fachkreisen so unbeliebt ist, dass er noch nicht einmal in Kombination mit einem Wiesnzelt verpachtbar ist, sagt einiges über den Donisl aus, noch mehr aber über das Gastronomieportfolio und den Geist der Brauerei.

Die unselige Verbindung der Bayerischen Hausbau mit Hacker und Paulaner hat seit den 70ern für zahlreiche mehr dem Zeitgeist als dem Publikum folgende Neubauten und Renovierungen gesorgt, die Paulaner immer weiter von seinem Heimatmarkt entfernen. Egal ob am Nockherberg oder in der Altstadt hat Paulaner mit Traditionsvergessenheit und hohen Preisen Orte geschaffen, die in erster Linie Touristen bedienen, die mangels Bezug gar nicht so feinfühlig auf die lokale Entkoppelung reagieren könnten wie die autochthone Bevölkerung. Aufgrund ihres Alters bleiben die Wirtschaften den Reiseführern schließlich enthalten.

Als der Bauunternehmer Josef Schörghuber 1979 bei Hacker-Pschorr einstieg, mag er sich auch für das Prestige, dass der Besitz einer Münchner Brauerei mit sich bringt, interessiert haben. Geschäftlich motivierender dürfte aber der Wert der Braureimmobilien gewesen sein, der damals auf 160 Millionen Mark taxiert wurde – und das bei einem Kaufpreis von gerade einmal 90 Millionen Mark für die Hälfte der Brauereianteile.

Heute noch liest man auf der offiziellen Facebookseite von der „Paulaner Brauerei, die sich bis heute mitten in München, im Stadtteil Haidhausen-Au auf dem Nockherberg, befindet“, obwohl die Brauerei bekanntlich längst an die Stadtgrenze umgezogen ist und die Schörghubersche Bayerische Hausbau gerade ersatzweise am Nockherberg ein sündhaft teures Wohnviertel hochzieht. So ist das wohl, wenn man als Brauerei einem Baukonzern gehört. Einmal kurz nicht aufgepasst und schon wird aus dem Markenkern ein Immobilienprojekt.

Paulaner entfernt sich derweil immer weiter von seinem Münchner Heimatmarkt, der inzwischen zu 70% fest in der Hand der deutlich kleineren Augustinerbrauerei liegt. Während Paulaner nicht einmal Objekte mit jahrhundertealter Geschichte als glaubwürdige Traditionslokale weiterführen kann, gelingt es Augustiner sogar, wie beim Klosterwirt gesehen, solche selbst in Neubauten zu etablieren. Angesichts seines großen Immobilienbestands würde man sich dennoch wünschen, dass der Paulanerbräu die Münchner Wirtshauskultur nicht ausschließlich der Konkurrenz überlässt.

Aktuell muss sich Paulaner in jedem Fall weit strecken, um einen neuen Wirt zu finden. In der Tagespresse war in den letzten Tage zu lesen, dass man sogar mit der Straubinger Wirtsfamilie Wenisch spricht, die bislang weder zur München noch zur Brauerei einen Bezug hat. Ob ein Import der Straubinger, die ihre Ochsenbraterei auf dem dortigen Volksfest also „Genussarena“ verstanden haben wollen, tatsächlich die berühmte Münchner Traditionsgastronomie aus vergilbten Fotoalben zurück in die Gegenwart zurückholen kann, sei erst einmal dahingestellt.

Um München nicht gänzlich zu verlieren, wird Paulaner um einen Sinneswandel nicht herumkommen. Nur auf sinnentleerte oberflächliche Klischees zu setzen, ist daheim schlichtweg keine gangbare Strategie.